Insgesamt sind in Deutschland 2021 rund 13 Millionen Menschen von Armut bedroht. Damit sind 15,8 % der deutschen Bevölkerung arm.
Wie viele Arme und Reiche gibt es in Deutschland?
Fazit: Vermögensverteilung in Deutschland bleibt weiterhin sehr ungleich – Die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland nimmt weiter zu. Während 5,1% der Bevölkerung ein Vermögen von mehr als 1 Million besitzen, leben 15,8% in Armut. Diese ungleiche Verteilung belastet auch den Staat, der Kosten in Milliardenhöhe für die Existenzsicherung der Bevölkerung aufbringt.
Wie viele Menschen Leben in Armut in Deutschland 2023?
Armut laut Paritätischem Wohlfahrtsverband größer als angenommen Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat seinen Armutsbericht korrigiert – demnach sind 300.000 Menschen mehr von Armut betroffen, als im Juni angenommen. Die Organisation fordert mehrere Maßnahmen der Bundesregierung.
- In Deutschland sind laut Paritätischem Wohlfahrtsverband mehr Menschen arm als angenommen.
- Von Armut betroffen waren demnach nicht 13,8 Millionen Menschen, sondern 14,1 Millionen Menschen, teilte die Organisation mit.
- Die Armutsquote in Deutschland habe im Jahr 2021 nicht 16,6 Prozent, sondern 16,9 Prozent betragen.
Der Verband korrigierte damit seinen im Juni veröffentlichten Armutsbericht. Die Organisation bezieht sich in der Neufassung auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes, die das Berichtsjahr 2021 betreffen. Die Behörde habe nach den Erstergebnissen aus dem vergangenem Jahr jetzt Endergebnisse “mit zum Teil gravierenden Abweichungen” vorgelegt, erklärte der Verband.
- So betrug laut Bundesamt die Kinderarmut nicht, wie zuerst berechnet, 20,8 Prozent, sondern 21,3 Prozent.
- Die Armutsquote von Alleinerziehenden stieg auf 42,3 statt 41,6 Prozent.
- Als armutsgefährdet gilt nach EU-Definition, wer über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügt.
Für eine allein lebende Person in Deutschland sind das derzeit etwa 15.000 Euro im Jahr, für eine Familie mit zwei Kindern etwa 31.500 Euro. Dabei handelt es sich um das gesamte Nettoeinkommen des Haushaltes inklusive Wohngeld, Kindergeld, Kinderzuschlag, anderer Transferleistungen oder sonstiger Zuwendungen.
- Die Armutsquoten seien bereits nach den früheren Daten auf einem Rekordhoch gewesen, sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider.
- Die Armut wird nicht nur immer größer, sondern mit den explodierenden Preisen auch immer tiefer”, so Schneider.
- Der Verband forderte die Bundesregierung zu wirkungsvollen Maßnahmen gegen die steigende Armut in Deutschland auf.
Dabei seien eine Anhebung der Regelsätze beim Bürgergeld und der Altersgrundsicherung von jetzt 502 auf 725 Euro, eine existenzsichernde Anhebung des BAföG und eine zügige Einführung der Kindergrundsicherung von zentraler Bedeutung. : Armut laut Paritätischem Wohlfahrtsverband größer als angenommen
Wer ist arm in Deutschland Statistik?
Armut unter Kindern und im Alter – Betroffen von Armut sind oft auch Kinder und ältere Menschen. Im Jahr 2020 betrug die Armutsgefährdungsquote von Kindern unter 18 Jahren in Deutschland 20,2 Prozent. Im Vergleich der Bundesländer liegt die Armutsgefährdungsquote von Kindern und Jugendlichen in Bremen mit über 40 Prozent am höchsten.
Warum gibt es so viele arme Menschen in Deutschland?
Gravierende Folgen – Mittelschicht zunehmend betroffen – Wenig Geld zur Verfügung zu haben wirkt sich demnach in allen Lebensbereichen aus. Haushalte mit einem Einkommen unter 2000 Euro netto im Monat hätten “einen schlechteren Gesundheitszustand, geringere Bildungschancen, und sind insgesamt mit ihrem Leben unzufriedener”, so Kohlrausch.
- Das durchschnittliche Nettoeinkommen pro Haushalt betrug 2018 rund 3700 Euro pro Monat.
- Menschen mit wenig verfügbarem Einkommen verzichteten schon vor der Krise besonders oft auf Alltägliches.
- Zum Beispiel das angemessene Heizen der Wohnung oder der Neukauf von Kleidung und Schuhen.
- Über eine Urlaubsreise denkt nur jeder zweite Haushalt mit niedrigem Einkommen überhaupt nach.
Die stark gestiegenen Kosten seit 2020 führen demnach auch dazu, dass immer mehr Menschen mit mittleren Einkommen einen deutlichen Spardruck spüren und ebenfalls viel verzichtet oder zumindest eingeschränkt wird. Bei Haushalten bis 3500 Euro Nettoeinkommen will rund jeder Dritte beim Lebensmitteleinkauf kürzertreten.
Wer ist am ärmsten in Deutschland?
Wer am stärksten von Armut betroffen ist (2008) –
Bevölkerungsgruppe | Armutsrisiko in Prozent |
---|---|
Frauen | 16,3 |
Männer | 14,7 |
Über-65-Jährige | 15,0 |
Alleinerziehende | 37,5 |
Ein-Personen-Haushalte | 29,3 |
Zwei-Personen-Haushalte | 14,0 |
Vier-Personen-Haushalte | 7,7 |
Erwerbstätige | 6,8 |
Arbeitslose | 62,0 |
insgesamt | 15,5 |
Als armutsgefährdet gilt, wer von weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Bevölkerung lebt. Quelle: Statistisches Bundesamt Nach der EU-Definition gilt als armutsgefährdet, wer von weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Bevölkerung lebt.
Demnach beginnt für einen Ein-Personen-Haushalt in Deutschland die Armut bei rund 930 Euro verfügbarem Geld im Monat. Für eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren liegt die Schwelle bei 1950 Euro. Je nach Definition kommen andere Zahlen heraus Überraschendes Ergebnis: Trotz der Kosten, die Kinder verursachen, sind Alleinlebende deutlich häufiger von Armut betroffen als Familien.
Fast jeder dritte Ein-Personen-Haushalt gilt laut Statistischem Bundesamt als arm – dazu gehören zum Beispiel Witwen oder Studenten in Wohngemeinschaften. Bei Vier-Personen-Haushalten hingegen beträgt die Armutsquote nur knapp acht Prozent. Vater, Mutter, zwei Kinder: Wer in dieser klassischen Konstellation lebt, ist also laut Statistik seltener von Armut betroffen.
Rentner und Pensionäre liegen mit einem Anteil von 14,9 Prozent knapp unter dem deutschen Durchschnittswert. Bei Alleinerziehenden ist hingegen mehr als jeder Dritte arm. Entscheidend ist auch das Geschlecht. Frauen sind in Deutschland häufiger armutsgefährdet als Männer. Dies gilt vor allem im Rentenalter: So haben 17 Prozent der Frauen ab 65 Jahren wenig Geld, aber nur 12,9 Prozent der Männer.
Für die Erhebung “Leben in Europa” sind in Deutschland 2009 fast 13.100 Haushalte mit mehr als 23.800 Personen ab 16 Jahren zu ihren Einkommen und Lebensbedingungen im Vorjahr befragt worden. Die Ergebnisse fließen in den deutschen Teil der europaweiten Datensammlung EU-SILC ein.
Zu einem etwas anderen Ergebnis war kürzlich der Mikrozensus gekommen. Die Befragung, die sich auf das Jahr 2009 bezog, hat eine Armutsquote in Deutschland von 14,6 Prozent ergeben. Die Schwelle zur Armut war dabei aber anders berechnet worden. Im Sommer 2010 hatte das Statistische Bundesamt außerdem die Armutsverteilung in verschiedenen deutschen Städten untersucht,
Auch hier wurden große Unterschiede deutlich. Armutshauptstadt ist demnach Leipzig, in München müssen sich die wenigsten Bürger Sorgen um ihre Finanzen machen (siehe Tabelle). Die jüngsten zur Verfügung stehenden Daten stammen aus dem Jahr 2008.
Wer in Deutschland arm ist bleibt arm?
Für Langzeitarbeitslose und prekär Arbeitende gibt es immer weniger Aufstiegsmöglichkeiten. Die Pandemie verstärkte dies, die staatlichen Hilfen konnten etwas abmildern.
Wie viel Prozent der Amerikaner sind arm?
Im Jahr 2021 waren in den USA etwa 21,7 Prozent der afroamerikanischen Bevölkerung von Armut betroffen. Armutsquote in den USA nach Ethnie im Jahr 2021.
Merkmal | Armutsquote |
---|---|
American Indian/ Alaska Native | 25,9% |
Afroamerikanisch/ Schwarz | 21,7% |
Hispanisch | 17,6% |
Gesamt | 12,8% |
Wie viel Prozent der deutschen Bevölkerung ist arm?
Pressemitteilung Nr.327 vom 4. August 2022 – WIESBADEN – Rund 13,0 Millionen Menschen waren 2021 in Deutschland armutsgefährdet. Das entspricht 15,8 % der Bevölkerung Deutschlands. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) anhand von Erstergebnissen der Erhebung zu Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC) 2021 mitteilt, lag damit der Anteil der armutsgefährdeten Personen in der Bevölkerung im Vergleich zum Vorjahr auf einem vergleichbaren Niveau.
Im Jahr 2020 waren es mit 13,2 Millionen Menschen 16,1 % der Bevölkerung. Eine Person gilt nach der EU-Definition für EU-SILC als armutsgefährdet, wenn sie über weniger als 60 % des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügt (Schwellenwert der Armutsgefährdung).2021 lag dieser Schwellenwert für eine alleinlebende Person in Deutschland bei 15 009 Euro netto im Jahr (1 251 Euro im Monat), für zwei Erwachsene mit zwei Kindern unter 14 Jahren bei 31 520 Euro netto im Jahr (2 627 Euro im Monat).
Frauen sind eher armutsgefährdet als Männer Insgesamt waren 16,5 % der Frauen, aber nur 15,1 % der Männer im Jahr 2021 von Armut bedroht. Für Personen zwischen 18 und 64 Jahren war die Armutsgefährdungsquote bei den Frauen mit 15,0 % zwar leicht niedriger als der Bundesdurchschnitt, jedoch leicht höher als die Armutsgefährdungsquote der Männer dieser Altersklasse.
- Bei den Frauen ab 65 Jahren fiel das Armutsgefährdungsrisiko im Jahr 2021 mit 21,0 % deutlich höher aus als bei den Männern derselben Altersklasse mit 17,4 %.
- Die geringeren Alterseinkommen von Frauen im Vergleich zu Männern sind beispielsweise auf unterbrochene Erwerbsbiografien und damit geringere Rentenansprüche zurückzuführen.
Die Armutsgefährdungsquote von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren lag bei 16,2 %. Mehr als ein Viertel der Alleinlebenden sowie der Personen aus Alleinerziehendenhaushalten waren armutsgefährdet Untergliedert nach Haushaltstypen sind erheblich mehr Personen aus Alleinerziehendenhaushalten sowie Alleinlebende von Armut bedroht als im Bundesdurchschnitt.
- Im Jahr 2021 war mehr als ein Viertel der Personen aus Alleinerziehendenhaushalten (26,6 %) armutsgefährdet.
- Bei den Alleinlebenden waren es 26,8 %.
- Für Personen in Haushalten mit zwei Erwachsenen und einem Kind (9,0 %) beziehungsweise mit zwei Kindern (11,4 %) sowie in Haushalten mit zwei Erwachsenen ohne Kind (11,5 %) lag die Armutsgefährdungsquote im Jahr 2021 unter dem Bundesdurchschnitt.
Dagegen hatten Personen in Haushalten von zwei Erwachsenen mit drei und mehr Kindern mit 23,6 % eine deutlich über dem Bundesdurchschnitt liegende Armutsgefährdungsquote. Fast jede zweite arbeitslose Person war 2021 armutsgefährdet Differenziert nach dem überwiegenden Erwerbsstatus von Personen ab 18 Jahren war im Jahr 2021 in der Gruppe der Arbeitslosen mit 47,0 % fast jede zweite Person armutsgefährdet.
- Bei den überwiegend Erwerbstätigen betrug der Anteil dagegen nur 8,6 %.
- Für Personen im Ruhestand lag die Armutsgefährdungsquote bei 19,3 %.
- Methodische Hinweise: Bei den Angaben handelt es sich um Ergebnisse der europäischen Gemeinschaftsstatistik über Einkommen und Lebensbedingungen ( European Union Statistics on Income and Living Conditions, EU-SILC).
EU-SILC ist die amtliche Hauptdatenquelle für die Messung von Armutsgefährdung und Lebensbedingungen auf Bundesebene in Deutschland sowie in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die Erhebung ist in Deutschland seit dem Erhebungsjahr 2020 als Unterstichprobe in den Mikrozensus integriert.
- Aufgrund der mit dieser Integration verbundenen umfangreichen methodischen Änderungen ist ein Vergleich der Ergebnisse ab Erhebungsjahr 2020 mit den Vorjahren nicht möglich.
- Damit zwischen dem Ende des Erhebungsjahres und der Ergebnisbereitstellung möglichst wenig Zeit vergeht, werden seit dem Erhebungsjahr 2020 zunächst Erstergebnisse und mit einigem zeitlichen Abstand Endergebnisse veröffentlicht.
Bei den hier erwähnten Ergebnissen für 2021 handelt es sich um Erstergebnisse. Die Ergebnisse für 2020 sind Endergebnisse. Ausführliche Informationen zu den methodischen Änderungen sowie deren Auswirkungen auf EU-SILC sind auf einer Sonderseite verfügbar.
- In der Erhebung EU-SILC ist die Grundlage für die Einkommensmessung in einem Erhebungsjahr das verfügbare Haushaltsnettoeinkommen (nach Steuern und Sozialabgaben) des Vorjahres.
- Die Fragen zum Einkommen beziehen sich also auf das Vorjahr der Erhebung (Einkommensreferenzjahr).
- Auch die Frage nach dem überwiegenden Erwerbsstatus bezieht sich auf das Vorjahr der Erhebung.
Im Jahr 2021 wurden 34 387 Haushalte und 59 646 Personen ab 16 Jahren zu ihren Einkommen und Lebensbedingungen befragt. Die amtliche Statistik liefert zum Themenbereich „Einkommen, Armutsgefährdung und soziale Lebensbedingungen” Indikatoren auf Basis unterschiedlicher Datengrundlagen.
Wo gibt es am meisten Armut in Deutschland?
Im Jahr 2021 betrug die Armutsgefährdungsquote in Duisburg 28,9 Prozent. Somit war Duisburg die deutsche Stadt, in der die meisten Menschen von relativer Einkommensarmut bedroht waren.
Ist Armut in Deutschland ein Problem?
Armut ist in Deutschland nach wie vor ungleich verteilt. Besonders in den deutschen Großstädten ist die Armutsquote höher als im Bundesdurchschnitt und die Bevölkerung in diesen Städten nimmt Armut verstärkt wahr.
Werden wir Arm in Deutschland?
Rekord bei der Armutsquote – Der Chef des Spitzenverbands der Freien Wohlfahrtspflege hatte gleich mehrere negative Rekorde zu verkünden:
Die Armutsquote hat im Jahr 2021 mit 16,6 Prozent einen neuen Rekord erreicht. Noch nie seit der Wiedervereinigung war sie so hoch.13,8 Millionen Menschen gelten in Deutschland als arm, 300.000 mehr als 2020. Als arm wird bezeichnet, wer weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen gesellschaftlichen Einkommens zur Verfügung hat. In den beiden ersten Jahren der Pandemie 2020 und 2021 ist die Armutsquote laut dem Bericht von 15,9 auf 16,6 Prozent angewachsen. Es ist der steilste Anstieg innerhalb von zwei Jahren, der im Mikrozensus seit 1990 gemessen wurde. Schutzschilde und Sofortmaßnahmen der Bundesregierung und der Länder hätten 2020 noch dafür gesorgt, dass die Armut trotz des wirtschaftlichen Einbruchs nur moderat angestiegen sei, sagte Schneider. »Erst 2021 scheinen die Entwicklungen voll auf die Armutsentwicklung durchgeschlagen zu sein.«
Warteschlange vor Berliner Tafel: Alters- und Kinderarmut sind stark gestiegen Foto: Christophe Gateau / dpa
Vor allem unter den Erwerbstätigen stieg die Armut stark an. So wuchs die Quote bei den Selbstständigen im Berichtszeitraum von 9 auf 13,1 Prozent, bei den Festangestellten von 7,9 auf 8,4 Prozent. Einer der Gründe: ein Zuwachs »offensichtlich erzwungener Teilzeitarbeit«, wie Schneider es formulierte. Einen neuen Rekord stellt der Bericht auch bei der Alters- und Kinderarmut fest. Knapp 18 Prozent der Rentnerinnen und Rentner und knapp 21 Prozent der Kinder und Jugendlichen gelten in Deutschland demnach als arm. Noch nie seien im Mikrozensus höhere Werte gemessen worden.
Die Armut ist in Deutschland regional höchst unterschiedlich verteilt. In Bayern, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein, aber auch in Brandenburg gibt es weniger Arme als im Bundesdurchschnitt. Deutlich ärmer als der Durchschnitt sind hingegen die Menschen in Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Berlin und Bremen.
Sind Arme selbst schuld an ihrer Armut?
Arm und selber schuld? Nein! 16.03.2017 | Pressemitteilung Über die Definition von Armut und über Armutssymptome wird viel gesprochen. Aus Sicht der AWO ist es aber mindestens genauso wichtig die Ursachen – also die Gründe für Armut zu untersuchen. Das hat die AWO getan und veröffentlicht heute eine umfassende Analyse von institutionellen und strukturellen Armutsursachen mit dem Titel: „Selber schuld? Analyse der AWO von strukturellen und institutionellen Armutsursachen”,
- Die Analyse von Armutsursachen zeigt klar, dass strukturelle und institutionelle Rahmenbedingungen Armut und soziale Ungleichheit verursachen und den sozialen Aufstieg verhindern.
- Wolfgang Stadler, AWO-Vorstand „Die Analyse von Armutsursachen zeigt klar, dass strukturelle und institutionelle Rahmenbedingungen Armut und soziale Ungleichheit verursachen und den sozialen Aufstieg verhindern.
Es ist an der Zeit das zu ändern”, erklärt der AWO Bundesvorsitzende Wolfgang Stadler. Aus diesem Grund werden im Anschluss an die Analyse politische Schlussfolgerungen abgeleitet. So schützt beispielsweise Erwerbstätigkeit nach wie vor am effektivsten gegen Einkommensarmut, aber gleichzeitig sind immer mehr erwerbstätige Personen armutsgefährdet.
Die Ursache dafür liegt in den strukturellen Veränderungen des Arbeitsmarktes bspw. durch die Zunahme von atypischer Beschäftigung wie Leiharbeit, Minijobs, Teilzeit und prekärer Selbstständigkeit. Auch wenn Menschen bereits vor einer Erkrankung in schwierigen finanziellen Verhältnissen lebten, vermag es das Sozialsystem in seiner derzeitigen Ausgestaltung nicht, Menschen im Krankheitsfall ausreichend abzusichern.
Die Kosten für ärztliche Behandlungen, Medikamente, Heil- und Hilfsmittel sowie Pflegedienstleistungen sind für viele Menschen zu hoch und Unterstützungsleistungen zu gering. Die soziale Ungleichheit wächst. „Armut und soziale Ungleichheit sind längst keine Randphänomene mehr, die einfach als individuelles Versagen abgetan werden können.
Das Problem muss an den Wurzeln gepackt werden”, fordert Wolfgang Stadler. Wer in Armut lebt, wird von der Gesellschaft häufig stigmatisiert und ausgegrenzt. Zugleich müssen die Betroffenen mit ihren geringen finanziellen Ressourcen auskommen. Ihre Möglichkeiten, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, sind stark begrenzt, sie werden häufiger krank und haben im Durchschnitt eine kürzere Lebenserwartung.
Das Analysepapier der AWO „Selber schuld? Analyse der AWO von strukturellen und institutionellen Armutsursachen” strebt zwei Ziele an:
Auf der Basis einer gesellschaftskritischen Analyse der strukturellen und institutionellen Armutsursachen werden politische Forderungen abgeleitet, die die strukturelle und institutionelle Ebene adressieren und somit eine echte Armutsbekämpfungspolitik initiieren sollen. Mit der Darstellung der strukturellen Einflüsse auf die Chancenlage der Betroffenen soll die Diskursebene beeinflusst werden und sowohl Aufklärungs- als auch Sensibilisierungsarbeit geleistet werden. Dadurch sollen Vorurteile gegenüber Menschen, die von Armut betroffen sind, aufgebrochen und Stigmatisierungen aufgehoben werden. Denn nicht nur durch die Tatsache, dass die soziale Ungleichheit wächst, die Armutszahlen steigen und die soziale Mobilität sinkt, sondern auch durch das mangelnde Verständnis der Gesellschaft den von Armut betroffenen Menschen gegenüber, wird der soziale Zusammenhalt gefährdet.
QM-Zertifizierungen: : Arm und selber schuld? Nein!
Wann ist man arm und wann Reich in Deutschland?
Umfangreiche Datenanalyse : Wann ist man arm, wann reich? Neue Studie überprüft gängige Definitionen empirisch – 06.07.2022 Wo beginnt Armut, wo Reichtum? Weil die gängigen Definitionen immer wieder kritisiert werden, haben Forscherinnen die Grenzen neu vermessen.
Die empirischen Ergebnisse ihrer neuen, von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie liegen nahe an den bisher geltenden Schwellen. Wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat, ist arm oder armutsgefährdet. Wer mindestens doppelt so viel verdient wie die Person genau in der Mitte der Verteilung, ist reich.
Auf dieser in Statistik und Wissenschaft weit verbreiteten Konvention beruhen die meisten Aussagen darüber, wie der gesellschaftliche Wohlstand verteilt ist. Aber könnte es nicht sein, dass 60 Prozent immer noch nicht für einen erträglichen Lebensstandard reichen? Und was ist mit den Vermögen: Warum sollte jemand arm sein, der oder die zwar nur ein geringes Einkommen, aber dafür ein eigenes Haus hat? Sind, andererseits, Beschäftigte mit hohem Lohn, aber ohne nennenswertes Vermögen, wirklich schon reich? Die Sozialforscherin Dr.
Irene Becker und Dr. Tanja Schmidt und Dr. Verena Tobsch vom Institut für empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung (INES) in Berlin haben Begriffe wie „arm”, „prekär”, „knappe Teilhabe” und „reich” neu definiert und stellen sie auf den empirischen Prüfstand. In ihrer Studie haben sie mehr Daten einbezogen als üblich: nämlich auch Vermögen, Spar- und Ausgabeverhalten.
Auf dieser Basis lassen sich – anhand von in den Daten vorgefundener Muster – Gruppen bilden. Beispiel: Die Ausgaben für Nahrungsmittel steigen im unteren Bereich der Verteilung mit zunehmendem Einkommen stark an. Zusätzliches Einkommen wird in Haushalten mit wenig Geld überwiegend zur Befriedigung der elementaren Grundbedürfnisse aufgewendet, der Rückstand gegenüber Haushalten mit mittlerem Einkommen zuerst auf diesem Gebiet verringert.
Ab einem gewissen Punkt wird die Kurve jedoch flacher. Bis zu dieser „Sättigungsgrenze” besteht nach der Interpretation der Forscherinnen ein „ungedeckter Bedarf”. Vermögen und Vermögensbildung durch Sparen spielen in diesem Bereich der Verteilung keine Rolle – im Schnitt wird „entspart”: Ersparnisse werden aufgelöst oder Geld wird geliehen.
Nach den Berechnungen der Forscherinnen mit Daten der repräsentativen Einkommens- und Verbrauchsstichproben (EVS) des Statistischen Bundesamts endet dieser als Armut klassifizierte Abschnitt der Verteilung bei einem Einkommen von rund 65 Prozent des mittleren Einkommens, sofern ein allenfalls geringes Vermögen vorhanden ist.
- Die Armutsgrenze ist also nicht sehr weit von den üblicherweise verwendeten 60 Prozent entfernt ist.
- Mit Einkommen ist hier das sogenannte Nettoäquivalenzeinkommen gemeint, das heißt: Abgaben an Staat und Sozialversicherung sind bereits abgezogen, Sozialtransfers berücksichtigt, und durch Gewichtungsfaktoren werden Unterschiede in der Haushaltsgröße berücksichtigt, sodass sich etwa Ein- und Vierpersonenhaushalte sinnvoll vergleichen lassen.
Oberhalb der Armut sehen Becker, Schmidt und Tobsch einen Prekaritätsbereich. Sie meinen damit eine finanzielle Ausstattung, die für die Befriedigung grundlegender physischer Bedürfnisse ausreicht, mit der eine Teilnahme am „normalen” gesellschaftlichen Leben aber aus materiellen Gründen erschwert ist.
Als Indikator dienen hier die Ausgaben für Bekleidung und soziokulturelle Teilhabe. Das können zum Beispiel die Kosten für Handy, Internet oder einen Cafébesuch sein. Ähnlich wie bei den Nahrungsmitteln am unteren Ende der Verteilung zeigt sich hier ein großer ungedeckter Bedarf, der erst „an der Schwelle zum Übergang in den breiten Teilhabebereich” eine „vorläufige Sättigung” findet.
Diese Schwelle verläuft bei etwa 80 Prozent des mittleren Einkommens. Finanzielle Sicherheit und entsprechende gesellschaftliche Teilhabe können sich statt aus laufendem Einkommen auch aus Rücklagen speisen. So wird bei der Berechnung der Zahl der Haushalte in prekärer Lage eine sehr kleine Gruppe ausgeklammert, die über Vermögen von mehr als dem Dreifachen des mittleren Jahreseinkommens verfügt.
In ihrem Fall griffe der bloße Blick aufs Einkommen also zu kurz. Mit gerade einmal zwei Prozent aller Haushalte im Prekaritätsbereich fällt diese Konstellation allerdings gesamtgesellschaftlich kaum ins Gewicht. Die Mittelschicht lässt sich anhand von Einkommen, Vermögen, Ersparnisbildung und Ausgabeverhalten in drei Gruppen aufteilen.
Die Wissenschaftlerinnen sprechen von knapper, guter und sehr guter Teilhabe. Dafür gelten die folgenden Einkommensgrenzen, wobei wie bei allen Berechnungen das mittlere (Median) Nettoäquivalenzeinkommen den Bezugspunkt bildet: Knappe Teilhabe: 80 bis 105 Prozent (falls erhebliche Ersparnisse/Vermögenswerte – konkret: von mehr als dem Dreifachen des mittleren Jahreseinkommens – vorliegen: 70 bis 95 Prozent), Gute Teilhabe: 105 bis 150 Prozent (95 bis 150 Prozent im Falle erheblicher Vermögen), Sehr gute Teilhabe: 150 bis 200 Prozent (150 bis 175 Prozent im Falle erheblicher Vermögen).
Politisch wie wissenschaftlich relevanter – und umstrittener – ist jedoch die Frage, wo der letzte Abschnitt der Verteilung beginnt: der Reichtum. In den Worten der Forscherinnen: eine „reiche Ressourcenausstattung”, die durch Einkommen und Vermögen „einen weit überdurchschnittlichen Lebensstandard” bei gleichzeitig weiterem Vermögensaufbau ermöglicht.
Ausgaben für bestimmte Produktgruppen oder Aktivitäten taugen wenig zur Bestimmung von Reichtum. Denn „hohe Einkommen und Vermögen bieten die Möglichkeit, Individualisierung und Differenzierung je nach Präferenzen ohne Einschränkungen auszuleben, was sich in der Ausgabenstruktur widerspiegelt”.
Lediglich die Höhe der Konsumausgaben insgesamt kommt als Indikator infrage. Bei Menschen, die das Doppelte bis Zweieinhalbfache des mittleren Einkommens verdienen, lagen sie 2018 im Schnitt um 76 Prozent über dem in der gesellschaftlichen Mitte Üblichen. Bei noch höheren Einkommen betrug der Wert 101 Prozent, wobei Personen mit höherem Vermögen mehr konsumieren.
Auch die laufende Ersparnis ist im obersten Einkommenssegment beträchtlich. So legen beispielsweise Alleinstehende mit dem Doppelten bis Zweieinhalbfachen des mittleren Einkommens im Schnitt gut 1300 Euro im Monat zurück. Konsumausgaben und Ersparnis steigen nach den Auswertungen der Forscherinnen im Einkommensbereich um das Doppelte des Mittelwerts sehr dynamisch an.
- Insofern liegt eine Grenzziehung zwischen „sehr guter Teilhabe” und „Reichtum” in diesem Abschnitt nahe – was wiederum für die gewöhnlich benutzte 200-Prozent-Schwelle als Reichtumsgrenze spricht.
- Letztlich erscheint Becker, Schmidt und Tobsch der Wert von 175 Prozent als angemessen, sofern der entsprechende Haushalt zusätzlich wenigstens drei mittlere Jahreseinkommen auf der hohen Kante hat.
Denn bereits Haushalte, die beim Einkommen unter der 200-Prozent-Marke liegen, ähneln in vieler Hinsicht den reicheren, sofern sie über größeres Vermögen verfügen. Die Wissenschaftlerinnen ziehen das Fazit: Angesichts ihrer „theoretisch-empirisch fundiert” abgeleiteten Ergebnisse könnten die Aussagen der Armuts- und Reichtumsforschung sowie der „etablierten Sozialbericherstattung” nicht mehr als „statistische Konstrukte auf der Basis willkürlicher Setzungen gedeutet und damit abgetan werden”.
Eher seien die bisher üblichen Grenzziehungen für Deutschland zu vorsichtig: „zu niedrig hinsichtlich der Armut und zu hoch bei der Erfassung von Reichtum”. Weitere Informationen: Irene Becker, Tanja Schmidt, Verena Tobsch: Wohlstand, Armut und Reichtum neu ermittelt, Study der HBS-Forschungsförderung Nr.472, Juli 2022.
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Wo wohnen arme Menschen in Deutschland?
image”> Bremerhaven: Hohes Armutsrisiko an der Nordseeküste Foto: Carmen Jaspersen/ dpa Im Westen wird gut verdient, im Osten sind die Gehälter mau. Das gilt, 30 Jahre nach dem Fall der Mauer, als Gewissheit – Ausnahmen bestätigen die Regel. Aber stimmt das? Und was bedeutet es konkret für den Alltag der Menschen? Schließlich unterscheiden sich die frühere DDR und die Alt-BRD auch bei den Verbraucherpreisen, den Lebenshaltungskosten, den Mieten,
Wie wirkt sich das aus? Werden Gehaltsunterschiede dadurch ausgeglichen, wenigstens abgemildert? Oder, umgekehrt, verschärft? In einer neuen Studie, die dem SPIEGEL vorliegt, gibt das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln Antworten. Die Kurzform: Die Kaufkraft des mittleren Einkommens liegt in beiden Teilen des Landes nicht so weit auseinander, wie mancher vielleicht denken könnte.
Nämlich nur um 104 Euro pro Monat: Während die Kaufkraft im Osten 1538 Euro beträgt, sind es im Westen 1642 Euro. Dabei berücksichtigt der Begriff der Kaufkraft, wie viel man sich für den verdienten Euro tatsächlich leisten kann. In der IW-Studie wird dieser Maßstab regional angelegt.
Und nicht, wie sonst häufig, national: ein Wert für die ganze Republik.) Schließlich geht es ja genau um die Unterschiede der Regionen. Tatsächlich sind die Differenzen demnach mit 121 Euro zwischen Stadt- und Landbewohnern größer als zwischen Ost- und Westbürgern. In der Großstadt ist man mit mehr Geld arm Das IW kommt zu diesen Zahlen, indem für relativ kleine Regionen das Preisniveau und das Lohnniveau ins Verhältnis gesetzt werden.
An einem Beispiel erklären die IW-Forscher, warum das wichtig ist. »In München liegt das Preisniveau 23 Prozent über dem Bundesdurchschnitt«, schreiben sie. Damit ergibt sich für Münchener ein höherer Schwellenwert, ab dem man sozialwissenschaftlich davon spricht, dass ein Arbeitnehmer von Armut gefährdet ist.
Legt man den bundesweiten Maßstab an, sind Münchener mit einem Einkommen von weniger als 969 Euro pro Monat arm (relativ einkommensarm). Bezieht man auch das regionale Preisniveau mit ein, sind sie es bis zu einem Einkommen von 1201 Euro (relativ kaufkraftarm). Zählt man nun, wie viele Menschen unter diese Schwelle fallen, weiß man, wie viele Menschen in ihrer Region arm sind, also – um im Beispiel von München zu bleiben – weniger als 1201 Euro verdienen.
Meist taucht in der politischen Diskussion die gängige Armutsquote auf: Sie gibt an, wie viele Menschen weniger als 60 Prozent des bundesweiten Medianwerts der Einkommen verdienen – sie gelten als arm. In München sind das zehn Prozent (die eben weniger als 969 Euro verdienen).
Die Armutsquote nach Kaufkraft (mit dem Münchener Schwellenwert von 1201 Euro) liegt deutlich höher: 18,3 Prozent. Die Karte zeigt, dass sich da teilweise eine andere Verteilung ergibt, als man gewohnt ist. München liegt da auf einem vergleichbaren Niveau wie mehrere Regionen in Mecklenburg-Vorpommern.
Das heißt: Da liegt der Anteil von Menschen ähnlich hoch, die sich an ihrem Wohnort oft nicht mal das Nötigste leisten können. In der folgenden Tabelle können Sie die Werte für Ihre Region herausfinden – und zwar gleich mehrere Armutsindikatoren. Geben Sie einfach in das Suchfeld den Namen Ihres Landkreises oder Ihrer kreisfreien Stadt ein, dann sehen Sie, zu welcher Region sie in der Studie gerechnet wurde und können die Armutsquote nach Kaufkraft ablesen, die herkömmliche Armutsquote nach Einkommen, die Kaufkraft sowie das Preisniveau.
Das Preisniveau der gesamten Bundesrepublik wird hier auf 100 gesetzt, 123 heißt also, dass ein regionales Preisniveau 23 Prozent darüber liegt, 94 bedeutet, dass es sechs Prozent niedriger ist. Der Zuschnitt der Regionen folgt hier den sogenannten Anpassungsschichten. Dieses Konzept hat das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) etabliert, um Unterschiede in Preisniveaus statistisch sinnvoll zu ermitteln.
Die Anpassungsschichten variieren in der Einwohnerzahl zwischen 100.000 und 500.000; bei großen Städten kann es sich um einzelne Bezirke handeln, während in ländlichen Regionen mehrere Kreise zusammen betrachtet werden. Wie aussagekräftig sind diese Daten – immerhin eine Studie, die das arbeitgebernahe IW im Auftrag der industriefreundlichen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) erstellt hat? Der Zuschnitt der Regionen, so kompliziert er auch erscheinen mag, gilt als statistisch durchaus sinnvolles Konzept.
Problematisch könnte sich eher auswirken, welche Güter bei der Berechnung der Preisniveaus herangezogen wurden: Für einen Preisvergleich, der für einkommensschwache Haushalte relevant ist, müssten vor allem Güter herangezogen werden, die zum Mindestlebensstandard gehören. Hier wurde allerdings mit bundesweiten Durchschnittspreisen gearbeitet.
Das könnte den Armutseffekt in den Daten hier und da verringern. Andererseits: Einen großen Anteil der Ausgaben bilden Wohnungskosten, da vor allem die Miete. Und die könnten in den mehr als zwei Jahren, die seit der Erhebung der Daten verstrichen sind, eher verschärfend gewirkt haben.
Was ist das ärmste Stadt in Deutschland?
Armuts-Hochburg Gelsenkirchen: Auf dem letzten Platz – Schon am Nachmittag krabbelt ein Mann, den der Alkohol niedergestreckt hat, auf allen vieren durch die Wartehalle. Vor den Schließfächern schläft ein Obdachloser. Irgendjemand wirft eine Münze in einen Becher, den eine Bettlerin mit klammen Fingern vor ihren Körper hält.
Alles nur Ausschnitte, alles Momentaufnahmen, sicher. Doch wer dieser Tage nach Gelsenkirchen kommt, muss Armut nicht suchen. Er findet sie an nahezu jeder Ecke. Zwangsläufig. Die einstige Kohle-Hochburg, deren fleißige Arbeiter den Wirtschaftsmotor der Bundesrepublik lange am Laufen hielten, gilt als „ärmste Stadt Deutschlands”.
In einer Studie von 2018, in der die Lebensqualität in allen 401 Städten und Landkreisen bewertet wurde, landete Gelsenkirchen auf dem letzten Platz. Würde man die gleiche Untersuchung heute noch einmal machen, das Ergebnis dürfte kaum besser ausfallen.
Was ist das ärmste Land in Europa?
Moldawien als ärmstes Land Europas und der auffällige Unterschied bei der Behandlung durch die EU im Vergleich zu den baltischen Staaten.
Wo leben viele arme Menschen?
Laut der Weltbank befinden sich 18 der 20 ärmsten Länder in Subsahara-Afrika. Die meisten extrem armen Menschen leben in den Ländern Nigeria, Demokratische Republik Kongo, Tansania, Äthiopien und Madagaskar.
Wer gilt in den USA als arm?
Vereinigte Staaten – In den USA liegt die Armutsgrenze für Alleinstehende derzeit bei einem Jahreseinkommen von 13.590 USD, für eine vierköpfige Familie bei 27.750 USD (Stand: 2022),
Wer ist wirklich arm?
Kann es sein, dass es in einem reichen Land wie Deutschland Armut gibt? Deutschland ist doch ein Sozialstaat! Ja, es gibt sie trotzdem, denn Armut hat viele Facetten. Es geht dabei nicht nur um die Frage, ob man eine Wohnung oder zu essen hat, sondern welche Lebenschancen man hat.
In Deutschland gilt noch immer zu häufig: Haben die Eltern wenig finanzielle Mittel, sind Kinder benachteiligt. Nicht selten wirkt sich das auch im späteren Leben aus. Menschen mit wenig Einkommen haben zudem häufiger eine schlechtere Gesundheit und sie beteiligen sich deutlich seltener an politischen Prozessen (zum Beispiel Demonstrationen oder Wahlen).
Das alles ist ein Problem, weil Betroffene das Risiko tragen, an den Rand der Gesellschaft gedrängt zu werden. Armut in Deutschland ist eine andere Art von Armut als die, die in den ärmsten Ländern der Welt auftritt. Die Menschen in Deutschland müssen nicht hungern, sie haben garantierten Zugang zu einem der besten Gesundheitssysteme der Welt, leben in aller Regel in Sicherheit, ihre Kinder erhalten kostenlose gute Bildung, und es gibt zeitlich unbefristete Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Das ist auch innerhalb der Europäischen Union keinesfalls selbstverständlich. In Deutschland und Europa sowie in vielen anderen Industrieländern beobachten wir vor allem relative Armut und das Armutsrisiko. Ungleichheit: Die Schere zwischen Arm und Reich In Geld gemessene Ungleichheit wird danach beurteilt, wie Einkommen und Vermögen unter den Bevölkerungsmitgliedern verteilt sind.
Der Gini-Koeffizient, der immer zwischen 0 (bei dem jeder Mensch das gleiche hätte) und 1 (bei dem eine Person alles hätte) liegt, beträgt für Deutschland rund 0,3 bei den Einkommen und zwischen 0,7 und 0,8 beim Vermögen. Das heißt, die Ungleichheit bei den Vermögen ist deutlich höher als bei den Einkommen.
- Wie das mit dem Armsein und dem Glück wirklich zusammenhängt, habe ich zum ersten Mal selbst an meinem achten Geburtstag erlebt.
- Ich hatte ein paar Freunde eingeladen, nur fünf, mehr ging nicht, zu wenig Platz in der Wohnung.
- Wir saßen drinnen im Kinderzimmer, das zur Hälfte mit den Sachen meines Bruders vollgestopft war.
Draußen regnete es, der Kuchen war gegessen, der Topf geschlagen, und jetzt brachte uns meine Mutter weiße T-Shirts und ein paar Eddings, und wir durften die bemalen und zerschneiden und uns Verkleidungen daraus basteln. Ich fand, das war eine prima Idee. Zahl der Menschen mit Job, die gleichzeitig Grundsicherung erhalten Geht die Schere weiter auseinander? In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Werte, mit denen in Deutschland Ungleichheit gemessen wird, kaum verändert, sondern liegen mehr oder weniger auf dem gleichen Niveau.
Angesichts der guten Entwicklung der Wirtschaft und der sinkenden Arbeitslosigkeit hatten allerdings viele Forscher erwartet, dass sich „die Schere schließt”, also die Ungleichheit abnimmt. Warum hat die Ungleichheit nicht abgenommen? Durch das deutliche Einkommenswachstum haben alle Einkommensbereiche mehr Geld zur Verfügung als noch vor zehn Jahren.
Allerdings haben die Mittelschicht und höhere Einkommensbereiche stärker vom Wirtschaftswachstum profitiert als Menschen, die keine Arbeit haben oder nur wenige Stunden arbeiten können. Auch sind über eine Million geflüchtete Menschen nach Deutschland gekommen, die auch in der Arbeitswelt erst einmal Fuß fassen müssen.
Absolute Armut bezeichnet ein Leben am Rande des Existenzminimums (existenzielle Armut). Menschen in absoluter Armut haben kaum Zugang zu lebenswichtigen Gütern wie Nahrung und Trinkwasser. In Geld bemessen sind Menschen nach einer Definition der Weltbank „absolut arm”, wenn sie von weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag leben müssen, das entspricht rund 1,60 Euro.
Diese Definition ist in erster Line auf Entwicklungsländer anwendbar. Absolute Armut ist in Deutschland nahezu ausgeschlossen und beschränkt sich auf Menschen, die trotz großer Bedürftigkeit vorhandene sozialstaatliche Leistungen nicht in Anspruch nehmen.
In relativer Armut leben Menschen, deren Lebensstandard unterhalb des Standards einer Gesellschaft ist. Dies ist die Definition, die für Industrieländer insbesondere von Bedeutung ist. Von relativer Einkommensarmut spricht man, wenn das Einkommen deutlich unter dem mittleren Einkommen liegt. Menschen mit einem Einkommen unter der Armutsrisikoschwelle können je nachdem, in welcher Art von Wirtschafts- und Sozialsystem sie leben, möglicherweise nur eingeschränkt an Bildung, Gesundheitsleistungen und dem gesellschaftlichen Leben teilhaben.
Die Armutsrisikoschwelle liegt bei 60 Prozent des mittleren Einkommens. Wer weniger als diesen rechnerischen Wert zur Verfügung hat, gilt in Deutschland als armutsgefährdet. Das mittlere Einkommen oder Medianeinkommen liegt genau in der Mitte: Die Zahl der Haushalte mit höheren Einkommen ist genauso groß wie die Zahl derer mit niedrigeren.
- Die Armutsrisikoquote misst die relative Armut.
- Sie gibt also an, wie hoch der Anteil der Menschen ist, die mit ihrem Einkommen unter der Armutsrisikoschwelle liegen.
- Wer unter erheblichem Mangel leidet, kann sich viele Dinge nicht leisten, die als üblich gelten.
- Zum Beispiel: die Wohnung ausreichend zu heizen, sich eine Waschmaschine zu kaufen, jährlich in den Urlaub zu fahren oder die Miete zu zahlen.
Sind wirklich immer mehr Menschen arm? Das kommt auf die Betrachtungsweise an. Die relative Armut, also die Zahl der Menschen, die aufgrund eines vergleichsweise niedrigen Einkommens armutsgefährdet sind, ist in Deutschland leicht gestiegen. Zu dem Schluss kommt die Bundesregierung in ihrem Sechsten Armuts- und Reichtumsbericht.2005 waren 14,7 Prozent der Bevölkerung armutsgefährdet, 2019 bereits 15,9 Prozent.
Allerdings: Die Zahl ist zuletzt auch deshalb gestiegen, weil viele Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind. Ihnen fällt es zunächst schwer, einen Job zu finden. Absolute Armut spielt in Deutschland wie oben beschrieben nahezu keine Rolle. Dafür sorgen in Deutschland staatliche Sozialleistungen („ Mindestsicherungsleistungen “), die das sozio-kulturelle Existenzminimum garantieren.
Der Anteil der Bevölkerung, der auf solche Sozialleistungen angewiesen war, sank von 9,7 Prozent im Jahr 2015 auf 8,3 Prozent im Jahr 2019. Die entsprechende Zahl für 2020 liegt noch nicht vor, bislang deutet aber nichts auf einen Anstieg hin. Auch der erhebliche materielle Mangel hat in dem Zeitraum deutlich abgenommen: Immer weniger Menschen müssen auf einen angemessenen Lebensstandard aus finanziellen Gründen verzichten. Anteil der Weltbevölkerung, der in absoluter Armut lebt(e) Vorhersagen zeigen, dass durch die Corona-Pandemie die weltweite Armut erstmals seit 1998 wieder zunehmen wird. Anteil der Bürger*innen in Deutschland, die 2008 mit „erheblichen materiellen Entbehrungen” zu kämpfen hatten: 5,5 Prozent Anteil der Bürger*innen in Deutschland, die 2019 mit „erheblichen materiellen Entbehrungen” zu kämpfen hatten: 2,6 Prozent Anteil der Kinder von Eltern mit Hauptschulabschluss, die ein Gymnasium besuchen, im Jahr 2019: 5,9 Prozent Jedes achte Kind in Deutschland ist armutsgefährdet. Ohne Sozialtransfers wären es 30 Prozent der Minderjährigen! Durchschnittliches Nettovermögen – also Vermögen minus Schulden – eines Haushalts im Westen im Jahr 2018: 182.000 Euro Durchschnittliches Nettovermögen eines Haushalts im Osten im Jahr 2018: 88.000 Euro Anteil der Kinder von Eltern mit Abitur, die ein Gymnasium besuchen, im Jahr 2019: 67,1 Prozent Eine Hälfte der Haushalte in Deutschland besitzt 97,5 % des Nettovermögens. Die andere Hälfte der Haushalte besitzt 2,5 % des Nettovermögens. Höhe des Vermögens, das 2019 in Deutschland verschenkt oder vererbt wurde: 79,8 Milliarden Euro Anteil der Bürger*innen in der Europäischen Union, die 2019 mit „erheblichen materiellen Entbehrungen” zu kämpfen hatten: 5,5 Prozent Quellen: Vereinte Nationen: Ziele für nachhaltige Entwicklung, Berichte 2017 und 2020. Eurostat (ILC_MDDD11): Unter erheblicher materieller Deprivation leidende Personen, Datenstand 2021.
Warum ist es teuer arm zu sein?
Gebühren – ein Fass ohne Boden – Eine flexible finanzielle Planung ist bei einem geringen Einkommen fast nicht möglich; es können meist keine Rücklagen für Notfälle oder ähnliches gebildet werden. Kommen dann noch unvorhergesehene Kosten hinzu, kann es teuer werden.
Das beginnt mit der Kontoführung, Aufgrund der niedrigen Leitzinsen gibt es immer weniger kostenlose Girokontenmodelle bzw. werden kostenlose Konten an Bedingungen geknüpft. Viele Banken fordern Mindestgeldeingänge oder knüpfen die Konten an andere monetäre Voraussetzungen – zum Beispiel die Führung eines Depots.
Planet Wissen – Armut in Deutschland
Erfüllt man die Bedingungen nicht, zahlt man monatlich mehrere Euro zusätzlich. Ist das Konto nicht genügend gedeckt, wird es überzogen und dies lassen sich Banken gut bezahlen. Bei der Kontoüberziehung handelt es sich um einen Kredit – den Dispokredit – auf den Zinsen gezahlt werden müssen.2021 lag der Dispozins im Schnitt bei 9,5 Prozent.*1 Banken bieten auch geringere Dispozinsen, allerdings meist nur bei höheren Kontoführungsgebühren.
- Ist der Dispokredit ausgeschöpft – je geringer die Bonität, desto geringer die Kredithöhe – können Rechnungen nicht rechtzeitig gezahlt werden.
- Nach einiger Zeit kommen zu den Dispozinsen schließlich Mahngebühren und Verzugszinsen hinzu.
- Eine gesetzliche Grenze für Mahngebühren gibt es nicht.
- Lediglich Papier und Portokosten dürfen berechnet werden, Personal- und Verwaltungskosten dagegen nicht.
Vielfach wurde vor Gericht die Höhe der Mahngebühren begrenzt. Sollte die Gebühr mehr als 2 bis 3 Euro betragen, ist dies nicht zulässig. Bei einem geringen Einkommen fehlen allerdings auch die Mittel ein entsprechendes Gerichtsverfahren zu führen. Hinzu kommen die Verzugszinsen, die man nach der gesetzlichen Zahlungsfrist auf die Geldschuld zahlen muss. Finanzküche Newsletter abonnieren: Enthält das Thema der Woche, aktuelle Beiträge und die Empfehlung des Hauses.
Wie viele Reiche gibt es in Deutschland?
In Deutschland gibt es 2022 1,63 Millionen Millionäre. – Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der Millionäre um etwa 6,3 %. Insgesamt kamen also 100.000 Menschen neu in die Liste der Vermögensmillionäre. Der Anteil der Millionäre in Deutschland beträgt dadurch jetzt rund 2 % der Gesamtbevölkerung. (Tagesschau)
Wann ist man arm und wann Reich in Deutschland?
Umfangreiche Datenanalyse : Wann ist man arm, wann reich? Neue Studie überprüft gängige Definitionen empirisch – 06.07.2022 Wo beginnt Armut, wo Reichtum? Weil die gängigen Definitionen immer wieder kritisiert werden, haben Forscherinnen die Grenzen neu vermessen.
Die empirischen Ergebnisse ihrer neuen, von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie liegen nahe an den bisher geltenden Schwellen. Wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat, ist arm oder armutsgefährdet. Wer mindestens doppelt so viel verdient wie die Person genau in der Mitte der Verteilung, ist reich.
Auf dieser in Statistik und Wissenschaft weit verbreiteten Konvention beruhen die meisten Aussagen darüber, wie der gesellschaftliche Wohlstand verteilt ist. Aber könnte es nicht sein, dass 60 Prozent immer noch nicht für einen erträglichen Lebensstandard reichen? Und was ist mit den Vermögen: Warum sollte jemand arm sein, der oder die zwar nur ein geringes Einkommen, aber dafür ein eigenes Haus hat? Sind, andererseits, Beschäftigte mit hohem Lohn, aber ohne nennenswertes Vermögen, wirklich schon reich? Die Sozialforscherin Dr.
Irene Becker und Dr. Tanja Schmidt und Dr. Verena Tobsch vom Institut für empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung (INES) in Berlin haben Begriffe wie „arm”, „prekär”, „knappe Teilhabe” und „reich” neu definiert und stellen sie auf den empirischen Prüfstand. In ihrer Studie haben sie mehr Daten einbezogen als üblich: nämlich auch Vermögen, Spar- und Ausgabeverhalten.
Auf dieser Basis lassen sich – anhand von in den Daten vorgefundener Muster – Gruppen bilden. Beispiel: Die Ausgaben für Nahrungsmittel steigen im unteren Bereich der Verteilung mit zunehmendem Einkommen stark an. Zusätzliches Einkommen wird in Haushalten mit wenig Geld überwiegend zur Befriedigung der elementaren Grundbedürfnisse aufgewendet, der Rückstand gegenüber Haushalten mit mittlerem Einkommen zuerst auf diesem Gebiet verringert.
Ab einem gewissen Punkt wird die Kurve jedoch flacher. Bis zu dieser „Sättigungsgrenze” besteht nach der Interpretation der Forscherinnen ein „ungedeckter Bedarf”. Vermögen und Vermögensbildung durch Sparen spielen in diesem Bereich der Verteilung keine Rolle – im Schnitt wird „entspart”: Ersparnisse werden aufgelöst oder Geld wird geliehen.
Nach den Berechnungen der Forscherinnen mit Daten der repräsentativen Einkommens- und Verbrauchsstichproben (EVS) des Statistischen Bundesamts endet dieser als Armut klassifizierte Abschnitt der Verteilung bei einem Einkommen von rund 65 Prozent des mittleren Einkommens, sofern ein allenfalls geringes Vermögen vorhanden ist.
Die Armutsgrenze ist also nicht sehr weit von den üblicherweise verwendeten 60 Prozent entfernt ist. Mit Einkommen ist hier das sogenannte Nettoäquivalenzeinkommen gemeint, das heißt: Abgaben an Staat und Sozialversicherung sind bereits abgezogen, Sozialtransfers berücksichtigt, und durch Gewichtungsfaktoren werden Unterschiede in der Haushaltsgröße berücksichtigt, sodass sich etwa Ein- und Vierpersonenhaushalte sinnvoll vergleichen lassen.
Oberhalb der Armut sehen Becker, Schmidt und Tobsch einen Prekaritätsbereich. Sie meinen damit eine finanzielle Ausstattung, die für die Befriedigung grundlegender physischer Bedürfnisse ausreicht, mit der eine Teilnahme am „normalen” gesellschaftlichen Leben aber aus materiellen Gründen erschwert ist.
Als Indikator dienen hier die Ausgaben für Bekleidung und soziokulturelle Teilhabe. Das können zum Beispiel die Kosten für Handy, Internet oder einen Cafébesuch sein. Ähnlich wie bei den Nahrungsmitteln am unteren Ende der Verteilung zeigt sich hier ein großer ungedeckter Bedarf, der erst „an der Schwelle zum Übergang in den breiten Teilhabebereich” eine „vorläufige Sättigung” findet.
Diese Schwelle verläuft bei etwa 80 Prozent des mittleren Einkommens. Finanzielle Sicherheit und entsprechende gesellschaftliche Teilhabe können sich statt aus laufendem Einkommen auch aus Rücklagen speisen. So wird bei der Berechnung der Zahl der Haushalte in prekärer Lage eine sehr kleine Gruppe ausgeklammert, die über Vermögen von mehr als dem Dreifachen des mittleren Jahreseinkommens verfügt.
In ihrem Fall griffe der bloße Blick aufs Einkommen also zu kurz. Mit gerade einmal zwei Prozent aller Haushalte im Prekaritätsbereich fällt diese Konstellation allerdings gesamtgesellschaftlich kaum ins Gewicht. Die Mittelschicht lässt sich anhand von Einkommen, Vermögen, Ersparnisbildung und Ausgabeverhalten in drei Gruppen aufteilen.
Die Wissenschaftlerinnen sprechen von knapper, guter und sehr guter Teilhabe. Dafür gelten die folgenden Einkommensgrenzen, wobei wie bei allen Berechnungen das mittlere (Median) Nettoäquivalenzeinkommen den Bezugspunkt bildet: Knappe Teilhabe: 80 bis 105 Prozent (falls erhebliche Ersparnisse/Vermögenswerte – konkret: von mehr als dem Dreifachen des mittleren Jahreseinkommens – vorliegen: 70 bis 95 Prozent), Gute Teilhabe: 105 bis 150 Prozent (95 bis 150 Prozent im Falle erheblicher Vermögen), Sehr gute Teilhabe: 150 bis 200 Prozent (150 bis 175 Prozent im Falle erheblicher Vermögen).
Politisch wie wissenschaftlich relevanter – und umstrittener – ist jedoch die Frage, wo der letzte Abschnitt der Verteilung beginnt: der Reichtum. In den Worten der Forscherinnen: eine „reiche Ressourcenausstattung”, die durch Einkommen und Vermögen „einen weit überdurchschnittlichen Lebensstandard” bei gleichzeitig weiterem Vermögensaufbau ermöglicht.
Ausgaben für bestimmte Produktgruppen oder Aktivitäten taugen wenig zur Bestimmung von Reichtum. Denn „hohe Einkommen und Vermögen bieten die Möglichkeit, Individualisierung und Differenzierung je nach Präferenzen ohne Einschränkungen auszuleben, was sich in der Ausgabenstruktur widerspiegelt”.
- Lediglich die Höhe der Konsumausgaben insgesamt kommt als Indikator infrage.
- Bei Menschen, die das Doppelte bis Zweieinhalbfache des mittleren Einkommens verdienen, lagen sie 2018 im Schnitt um 76 Prozent über dem in der gesellschaftlichen Mitte Üblichen.
- Bei noch höheren Einkommen betrug der Wert 101 Prozent, wobei Personen mit höherem Vermögen mehr konsumieren.
Auch die laufende Ersparnis ist im obersten Einkommenssegment beträchtlich. So legen beispielsweise Alleinstehende mit dem Doppelten bis Zweieinhalbfachen des mittleren Einkommens im Schnitt gut 1300 Euro im Monat zurück. Konsumausgaben und Ersparnis steigen nach den Auswertungen der Forscherinnen im Einkommensbereich um das Doppelte des Mittelwerts sehr dynamisch an.
- Insofern liegt eine Grenzziehung zwischen „sehr guter Teilhabe” und „Reichtum” in diesem Abschnitt nahe – was wiederum für die gewöhnlich benutzte 200-Prozent-Schwelle als Reichtumsgrenze spricht.
- Letztlich erscheint Becker, Schmidt und Tobsch der Wert von 175 Prozent als angemessen, sofern der entsprechende Haushalt zusätzlich wenigstens drei mittlere Jahreseinkommen auf der hohen Kante hat.
Denn bereits Haushalte, die beim Einkommen unter der 200-Prozent-Marke liegen, ähneln in vieler Hinsicht den reicheren, sofern sie über größeres Vermögen verfügen. Die Wissenschaftlerinnen ziehen das Fazit: Angesichts ihrer „theoretisch-empirisch fundiert” abgeleiteten Ergebnisse könnten die Aussagen der Armuts- und Reichtumsforschung sowie der „etablierten Sozialbericherstattung” nicht mehr als „statistische Konstrukte auf der Basis willkürlicher Setzungen gedeutet und damit abgetan werden”.
Eher seien die bisher üblichen Grenzziehungen für Deutschland zu vorsichtig: „zu niedrig hinsichtlich der Armut und zu hoch bei der Erfassung von Reichtum”. Weitere Informationen: Irene Becker, Tanja Schmidt, Verena Tobsch: Wohlstand, Armut und Reichtum neu ermittelt, Study der HBS-Forschungsförderung Nr.472, Juli 2022.
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Wie ist die Verteilung von Arm und Reich in Deutschland?
Wie groß ist die Kluft zwischen Arm und Reich? – Blickt man auf die Einkommen, liegt Deutschland im Vergleich zu den anderen EU-Staaten im Mittelfeld. Der sogenannte Gini-Koeffizient, der ein zentrales Maß für Ungleichverteilungen ist, lag hierzulande im Jahr 2020 bei rund 30 – genauso wie im EU-Durchschnitt.
- Angeführt wird die Liste der ungleich verteilten Einkommen von Bulgarien (40), Litauen (35,1), Lettland (34,5) und Rumänien (33,8).
- Der Gini-Koeffizient ist ein Maß zur Darstellung von Ungleichverteilungen.
- Er kann einen beliebigen Wert zwischen 0 und 100 Punkten annehmen.
- Ein Wert von 0 bedeutet absolute Gleichheit, ein Wert von 100 heißt: Einer hat alles, alle anderen nichts.
Insbesondere die Vermögen sind im Vergleich dazu in Deutschland sehr ungleich verteilt: Die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung besitzt laut Oxfam lediglich 1,3 Prozent des Vermögens. Die reichsten zehn Prozent besitzen hingegen 67,3 Prozent, die Top-0,1-Prozent sogar 20,4 Prozent. Vermögensverteilung in Deutschland: Vermögen sind ungleich verteilt. (Quelle: t-online) “Die Kluft zwischen Arm und Reich ist in Deutschland sehr groß”, sagt deshalb Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung t-online. “In der westlichen Welt haben wir hierzulande die größte Ungleichheit bei Vermögen und Ersparnissen.”
Werden Arme immer ärmer und Reiche immer reicher?
Derzeit vergeht kaum ein Tag, ohne dass Meldungen über wachsende Ungleichheit Schlagzeilen machen. Nach einer Studie von Credit Suisse besitzen 0,7 Prozent der Weltbevölkerung 45 Prozent des Vermögens. Die Organisation Oxfam behauptet, das Vermögen der Reichen sei in den letzten fünf Jahren um 44 Prozent gestiegen, das der Armen um 41 Prozent gefallen.
- Der französische Ökonom Thomas Piketty warnt vor einer Gesellschaft, in der Einkommen immer ungleicher werden.
- Als Reaktion darauf fordern viele eine höhere Besteuerung der ‚Reichen‘ und einen Ausbau des Sozialstaates.
- Diese Debatte wirft im Kern drei Fragen auf.
- Erstens: Nimmt die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen tatsächlich zu, werden die Armen also immer ärmer und die Reicher immer reicher? Zweitens: Wie ist die Entwicklung in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern? Drittens: Sollte die deutsche Politik reagieren und falls ja, wie? Die wichtigste Antwort auf diese Fragen lautet: Die These allgemein wachsender Armut und Ungleichheit ist falsch.
Die weltweite Armut hat in den letzten Jahrzehnten drastisch abgenommen, die Einkommensungleichheit ist zurückgegangen. Das ist eine Folge des Aufstiegs der Schwellenländer. In den reichen Industrieländern wächst die Ungleichheit der „Markteinkommen”. Aber letztlich kommt es auf die „verfügbaren Einkommen” an, also die Einkommen nach Steuern und Transfers, die jeder letztlich ausgeben kann.
Der Sozialstaat federt die zunehmende Ungleichheit ab. In Deutschland wird mehr umverteilt als in fast allen anderen Ländern. Der Anteil der ärmsten 25 Prozent der Bevölkerung an den verfügbaren Einkommen ist deshalb in den letzten 20 Jahren annähernd stabil geblieben. Vor diesem Hintergrund wirkt die aktuelle Ungleichheitsdebatte überzogen.
Die Politik sollte sich darauf konzentrieren, den deutschen Wohlfahrtsstaat so zu reformieren, dass er auch künftig Absicherung bietet. Wie wirtschaftliche Ungleichheit sich entwickelt und welche Konsequenzen für die deutsche Politik sich daraus ergeben, lässt sich in zehn Thesen zusammenfassen.